Geschichte des Schneckenhandels
Schneckenhandel, halten von Weinbergschnecken (helix pomatia) in Schneckengärten, eine etwas abwägige Idee? Keineswegs. Der Schneckenhandel hat in unserer Region und insbesondere auch in meiner Verwandtschaft eine jahrhunderte lange Tradition. 1912 ist dieses alte Handwerk leider ausgestorben. Schon bei den alten Römern sind die Weinberg-Deckelschnecken als Leckerbissen bei den Vornehmen auf den Tisch gekommen. Kurze Zeit vor dem pompejanischen Krieg hat sich ein gewisser Fulvius Lippinus als erster mit der Schneckenzucht befasst. Ihm war die Schneckenmast schon bekannt. Er fütterte die Schnecken mit Wein, Mehl und anderen guten Zutaten, um so schmackhafte Tiere auf den Tisch zu bringen. Vermutlich ist der Genuss der Weinbergschnecke von Mönchen nach Deutschland gebracht worden, denn es ist überliefert, dass erste Schneckengärten von Mönchen in Klöstern angelegt wurden. Die Schnecken wurden insbesondere als klassische Fastenspeise angesehen, da sie nicht als Fleisch galten.
Die Bauern auf der kargen Schwäbischen Alb haben bald erkannt, dass Schneckengärten für die eigene Versorgung und als Erwerbszweig immer wichtiger wurden. Eines der bekanntesten Gebiete ist das Große Lautertal. Dort lebte der letzte Schneckenhändler in Weiler (bei Hayingen). Von ihm ist bekannt, dass er jedes Jahr bis zu 300 000 Weinbergschnecken ab Jakobi (25. Juli) sammelte und in grossen Schneckengärten gehalten hat. Nach der Eindeckelung wurden die Schnecken aus dem Gehege gesammelt. Mit Fässern zu je 10 000 Stück wurden sie auf die „Ulmer Schachteln“ verfrachtet und zum größten Teil an die an der Donau gelegenen Klöster verkauft. Der Rest wurde auf dem Weihnachtsmarkt in Wien veräussert. Aus dem Bereich des Großen Lautertal wurden jährlich von den verschiedenen Schneckenhändlern bis zu 4 Millionen Weinbergschnecken gehandelt.
Im 18. Jahrhundert gab es im Lautertal einen „Schneckenkrieg“. Der Konflikt wurde beigelegt mit der Massgabe, dass die Bürger erst ab Jakobi sammeln durften, die Herrschaft aber bereits zehn Tage vorher.
Dieses alte Handwerk meines Uhrahns wurde von mir vor über zehn Jahren aufgearbeitet. Seit dem Nachbau eines von PLENUM mitfinanzierten historischen Schneckengartens durch die FH Nürtingen und die Stadt Hayingen in Weiler im Großen Lautertal ist dieses ursprüngliche Handwerk auch geschichtlich wieder dargestellt.
Mit einem kleinen Haus-Schneckengarten haben wir damals angefangen. Mehrmals wurde er vergrößert, ein weiterer in einem ehemaligen Hühnergarten angelegt. Nach den entsprechenden Baugenehmigungen 2009 tummeln sich heute auf einem rund 3000 m² grossen Grundstück mehrere Zehntausend, ursprünglich in der Natur lebende, Weinbergschnecken zufrieden in ihrem eingezäunten, naturnahen Gehege. Dem Betrachter des Schneckengartens zeigen sich die Weinbergschnecken zufrieden. Und manchmals bekommen sie auch Streicheleinheiten oder dürfen zeigen, wie schnell sie unterwegs sind. Nach dem Motto:
Schneck, schneck do raus, strecke deine Fühler aus oder i werf di über d’Stadtmauer naus.
Wir versuchen, die auf Grund falscher Sammeltermine vom Aussterben bedrohten Tiere nachzuzüchten, was allerdings immer wieder neue Herausforderungen mit sich bringt, bis die Schnecken nach vier Jahren „geerntet“ werden können.
Stolz sind wir, dass unsere Weinbergschnecken ausschließlich als Deckelschnecken im Spätherbst vermarktet werden. Ohne dass sie ausgehungert und entschleimt werden müssen. In unseren Gehegen befinden sich keine Zuchtschnecken.
Unsere regionalen Gastronomen bringen zwischenzeitlich ganz kreative Gerichte auf den Tisch, wie etwa mit Alb-Kräutern oder Alb-Linsen. Eine Schneckenwurst hat ebenso wie ein Schneckenkochbüchlein und neuerdings Schneckenpralinen seine Liebhaber gefunden.